24. Februar 2014. Ein Kunde der Franchise-Restaurant-Kette Vapiano postet einen wenige Sekunden langen Smartphone-Clip seines erstandenen Salats auf der Facebook-Wall des Unternehmens. In der Hauptrolle: Eine überaus wehrhafte, überaus lebendige Raupe, die im Dressing zu ertrinken droht. Rund eineinhalb Tage später, als dieser Beitrag entsteht, hat das Video knapp 45.000 Likes und wurde mehr als 18.500-mal geteilt. 30.000-mal wurde sogar in die Tasten gegriffen und kommentiert. Wie reagiert das Unternehmen? Zahlreiche Posts, hektische Statements? Beschwichtigungsversuche nach jedem zehnten Kommentar? Nein. Vapiano reagiert im Großen und Ganzen mit einem Post – und hat damit Erfolg.
Patrick Meschenmoser (Frankfurt am Main)
Viele Unternehmen fürchten sich vor dem perfekten Sturm, dem Shitstorm. Es drohen Liebesentzug der Fans, wütende Kommentare und natürlich ein umfassender Reputationsschaden. Ist das so? Schaut man sich prominente Fäkalstürme an, fragt man sich: Warum so schreckhaft? Es scheint da ein neues Waldsterben herangezüchtet zu werden. Auch das Shitstorm-Phänomen scheint sich zu einem Mythos entwickelt zu haben. Nehmen wir den viel zitierten „Aufruhr“, dem sich die ING Diba ausgesetzt sah. Auslöser war ein Werbespot mit der allseits beliebten Basketball-Ikone Dirk Nowitzki. Auf humorvolle Weise wird hier die Erfolg bringende Größe des Sportlers der von der Fleischereifachverkäuferin in der Kindheit überreichten Extrawurst zugeschrieben. Resultat: Entrüstung der Veganer.
Lassen wir einmal die Qualität moralischer Online-Entrüstung außen vor. Hat das Ganze ING Diba geschadet? Nein. Haben deswegen signifikant viele Kunden ihr Konto gekündigt? Nein. Untersuchungen von Studenten haben ergeben, dass der überwiegende Teil negativer Kommentare von einer verschwindend kleinen Zahl von Aktivisten kam. So weit nichts Neues, das Troll-Phänomen ist bekannt. Interessant ist aber, dass die wenigsten Fans wirklich involviert waren und sich an der Diskussion beteiligten. Negative Auswirkungen auf die Reputation waren selbst unter den Facebook-Fans kaum vorhanden. Ins Licht der breiten Öffentlichkeit rückt das Thema dann auch als Social-Media-Phänomen. Auslöser der Berichterstattung ist nicht der vermeintliche Skandal selbst, sondern die neue Ausdrucksweise im Netz. Es bleibt ein Sturm im Wasserglas.
Das Raupen-Video hat sich in atemberaubender Geschwindigkeit verbreitet. Der Shitstorm bleibt dennoch aus. Das liegt auch an der Zurückhaltung des Unternehmens, das kein eigenes Öl ins Feuer gießt. Auf der Facebook-Wall diskutieren die Fans derweil unter sich. Natürlich sind viele kritische Stimmen zu hören. Kunden nutzen die Gelegenheit, eigene Negativerfahrungen zum Besten zu geben. Aber ein Großteil der Posts nimmt es mit Humor, preist den Gesundheitsaspekt eines Nahrungsmittels, das offenbar so wenig mit Giften belastet ist, dass sogar die kleine Raupe überleben kann. Bewusst oder unbewusst, das Unternehmen nutzt den Selbstregulationseffekt seiner großen Fanbasis. Vapiano reagiert clever und unaufgeregt. In einem kurzen Post mit ein wenig Selbstironie ist alles gesagt:
„Liebe Vapiano Fans,
heute hat ein Fan bei uns ein Smartphone-Video gepostet. In den Hauptrollen: Ein Salat und eine Raupe. Man könnte dies als Beleg für die Frische unserer Salate
sehen. Wir nehmen dies aber im Gegenteil sehr, sehr ernst. So etwas darf bei uns nicht passieren! Wir haben einen sehr hohen Qualitätsanspruch und darum wollen wir diesen Vorfall klären. Derzeit
versuchen wir, mit dem Gast in Kontakt zu kommen, um zu klären, wo genau und zu welcher Zeit das Video aufgenommen wurde. Und natürlich, um uns zu entschuldigen! Alle unsere Systeme zielen darauf
ab, dass unsere Speisen nicht nur frisch und lecker, sondern auch absolut tadellos sind.
Liebe Grüße,
Euer Vapiano Team“
Jedes weitere Wort hätte mehr Stoff für nicht zielführende Diskussionen geboten. Eine angemessene Reaktion, die natürlich eine ständige Beobachtung der Entwicklungen voraussetzt. Auf neue, eigenständige Posts geht Vapiano je nach Bedarf dann auch individuell ein, ohne jedoch die Diskussion wieder aufzunehmen. Die Gefahr droht jetzt viel mehr von den klassischen Medien. Nachrichtenagenturen haben bereits darüber berichtet, nun werden sich die Boulevard-Formate der TV-Anstalten darum kümmern. Und da Skandalisierung immer Reichweite macht, wird sich zeigen, in wie weit die Journalisten so ausgewogen berichten, wie sich die Fankommentare bei Vapiano derzeit darstellen. Vielleicht eine gute Gelegenheit zu hinterfragen, ob Shitstorms – im Gegensatz zur Bedeutung der Social Media selbst – in weiten Teilen schlicht gehyped werden.
Lessons learned:
- Auch in Social Media gilt die oberste Krisenregel: Ruhe bewahren! Erst analysieren, dann kommunizieren.
- Nicht kommunizieren geht auch hier nicht.
- Eine große Fan-Basis erhöht die Reichweite negativer Posts, bietet aber die Chance einer selbstregulierenden Diskussion durch die Fans.
- Es gibt keine Blaupause, jeder Krisenfall ist anders. Mehr Kommunikation ist nicht gleich mehr Qualität. Manchmal ist es das Beste ein Thema „auszuhalten“
- Die Wall gehört den Fans (zumindest in deren Verständnis), nicht dem Unternehmen. Also Finger weg von Zensur
- Social Media müssen konstant beobachtet werden.
- Shitstorms werden in der Regel dann bedrohlich, wenn darüber in den klassischen Medien berichtet wird.